Zukunftsphantasie


Aus dem Roman "Einmal Paradies und wieder zurück"


Roman "Einmal Paradies und wieder zurück"
Ich sagte „Licht", aber es blieb dunkel. Hatte ich „Licht" gesagt oder nur gedacht? Ich versuchte es noch einmal: „LICHT!!!". Jetzt hörte ich meine Stimme, krächzend, irgendwie rostig, ungeübt. Erst als ich ein paar weitere Male mich wiederholt hatte, leuchtete ein trübes Notlicht auf und erhellte dürftig den kahlen Raum, in dem mein UHT (Ultrasensitiver Highspeed Transformator) stand, den ich mir vor ein paar Monaten – oder waren es ein paar Jahre? – als Ersatz für den hoffnungslos veralteten Vorläufer angeschafft hatte.

Meine Augen waren noch verschwommen, als ich die Schläuche und Schnüre, mit denen mein Körper mit dem UHT verbunden war, löste. Arme und Beine ließen sich ebenfalls kaum noch bewegen. Es war wirklich, als ob ich eine Ewigkeit unterwegs gewesen sei. Dabei zeigte mir der Datenresponder, dass ich diesmal nicht länger als 36 Stunden unterwegs gewesen war. Na ja, die Extremitäten brauchte man ja eigentlich nicht mehr. Ein Wunder, dass sie überhaupt noch funktionierten.

Wieso war ich eigentlich zurückgekehrt? Ich war doch im Paradies. Dort, wo sprichwörtlich alle Wünsche in Erfüllung gehen. Diese Programme sind so fantastisch, dass mich noch jetzt, ca. eine Stunde nach meinem Aufenthalt im UHT, die Erinnerung überwältigt. Abenteuer, Geschichte, Weltall, Harem und World Vision waren die Programmbereiche, die ich diesmal ausprobiert hatte.
Im Abenteuerbereich hatte ich mir einen Kampf mit einem Ungeheuer gewünscht. Aber als ich mit meiner kümmerlichen Axt vor der sich auftürmenden Bestie stand und ich ihren stinkenden, heißen Atem spürte, überlegte ich mir den Wunsch noch mal, aber es war zu spät. Das drachenähnliche Ungeheuer schlug ihre scharfkantigen Zähne in meinen Arm, sodass ich vor Schmerzen laut aufschrie. Mit letzter Kraft schlug ich meine Axt in ihr hässlich aufglühendes Riesenauge. Das Tier stieß ebenfalls einen Schmerzensschrei aus und wandte sich glücklicherweise von mir ab.

Mein Arm hing nur noch in Fetzen an meiner Schulter und ich begriff, dass ich wohl nicht im Drachenblut baden konnte wie weiland Siegfried. Schnell wünschte ich mir eine Auszeit auf einem ruhigen Planeten, von dem man einen schönen Blick auf die Erde hatte und sich dabei von netten Damen massieren ließ. Dort wurde ich eine Weile verwöhnt, bis mir der Gedanke kam, selbst eine Rakete zu besteigen und noch einmal die Mondlandung der Sechzigerjahre mitzuerleben.

Jetzt war ich wieder in der Realität gelandet. Ob ich einmal einen Blick nach draußen werfen sollt?. Seltsame Idee. Was sollte das bringen? Die lebensnotwendige Versorgung mit Vitaminen, Mineralien, Eiweiß und Kohlehydraten wurde per Standrohrleitung vom Zentralen Providing Zentrum geliefert. Viel brauchte man ohnehin nicht. Der Geschmack war frei wählbar bei einem herrlichen virtuellen Gelage.

Trotzdem reizte es mich, einmal vor die Tür zu gehen. Das musste Jahre her sein. Hatte die reale Welt noch eine Bedeutung für mich? Aber gehen?

Ich öffnete die Tür und griff mir einen Stock, der dort griffbereit stand.
Der Sand des Gehweges knirschte unter meinen Schuhen, die ich noch von irgendwo hervorgezaubert hatte. Die Straße war kaum zu erkennen. Nicht nur die langen Reihen schrottreifer, total verschmutzter Autos am Straßenrand behinderten die Sicht. Auch Büsche und gar Bäume wuchsen dort, wo früher die Autos gefahren waren. Wenn hier einmal ein Lieferauto für neue UHTs oder das Auto vom Beerdigungsinstitut durchmussten, hatten die wahrscheinlich gleich die Axt dabei.

Die Häuser waren ebenfalls kaum noch zu entdecken. So sehr hatte sich der Dschungel von Pflanzen mit maroden Mauern und Steinen schon entfaltet. Wohnen musste man hier ohnehin nicht mehr. Dafür gab es zentrale Einrichtungen, wo für jeden ein Raum in der Größe eines Sarges zur Verfügung stand. Mehr brauchte man nicht.

Die Sonne schien von einem makellosen Himmel und wärmte mein bleiches Gesicht. Ja, war das ein anderes Gefühl als der Sonnenschein in der virtuellen Welt? Eigentlich schon. Denn dort hatte sie eigentlich nur eine Statistenrolle. Dass ich sie bewusst gefühlt hätte, war mir nicht haften geblieben.
Dann entdeckte ich tatsächlich ein Lebewesen, das über meinen Weg lief. Ich glaube, es war ein Eichhörnchen oder so ähnlich und ich fühlte eine freudige Erregung in mir, nämlich das Gefühl, nicht allein zu sein. Wo waren eigentlich die anderen Menschen, denen ich zu Hunderten virtuell begegnete, wenn ich wollte?

In der Ferne hörte ich ein quietschendes Geräusch, so als ob Reifen eines Autos plötzlich abgebremst würden. Konnte das sein? Bei näherem Hingehen sah ich tatsächlich zwei Menschen aufgeregt miteinander sprechen, als ob sie sich stritten. Erstaunt beendeten sie ihren Disput, als sie mich sahen und schauten mich neugierig an.
„Wo kommst denn du her?", sagte der eine, ein etwas zotteliger, pausbäckiger junger Mann und ließ dabei seine hervorstehenden Zähne sehen. „Ich wohne hier in der Nähe", erwiderte ich, „und gehe spazieren." „Spazieren?", echoten die beiden. „Heutzutage spaziert hier niemand mehr", ließ die blonde Begleiterin verlauten. „Nur noch unser Humanakreis geht ab und zu draußen spazieren oder fährt Auto so wie wir. Aber wir werden immer weniger und Autos können nur noch gefahren werden, wenn jemand Sprit findet und die Kiste noch fährt."

Der junge Mann setzte hinzu: „Du hast doch bestimmt einen anderen Grund, hier herumzuschleichen. Zu klauen gibt es auf jeden Fall auch nichts mehr."

Ich konnte ihnen nicht klarmachen, dass ich wirklich nur spazieren gehen wollte. Bald verschwanden sie und ich tappte mit meinem Stock zurück. Nein, Spaß hatte das nicht gemacht. Die reale Welt war uninteressant geworden. Sie hatte sich überlebt.