Wer bin ich?


Woher komme ich, wohin will ich, wozu bin ich hier?

Uralte Fragen, die sich Menschen aller Art und zu allen Zeiten gestellt haben und darüber zur Kunst, zur Wissenschaft oder zur Philosophie kamen.

Wer bin ich? Die Antwort darauf ist zunächst einmal das Naheliegende, wenn auch mit das Schwierigste. Zuerst relativ einfach. Ich bin. Damit ist eigentlich alles gesagt, denn in diesem "Ich bin" steckt alles drin. Ich heißt, dass ich aus einer Ich-Perspektive die Welt um mich herum erlebe, d. h. ich erlebe mein Ich als Abgrenzung zur Natur, zu Tieren und zu den anderen Menschen. Ich bin derjenige, der aus den Augen herausschaut, die offenbar zu mir gehören, genauso wie die Ohren und alle übrigen Körperteile.

Und dieses Ich ist. Was heißt das? Nun, als erstes machen sich die Bedürfnisse bemerkbar. Zu sein bedeutet als Lebewesen, permanent Energie zu verbrauchen, folglich macht sich der Energiemangel bemerkbar, und damit der Hunger auf etwas Essbares. Der Kühlschrank ist allerdings nicht immer voll, genauso wenig wie das Portemonnaie, also hat der Mensch die Arbeit erfunden, die Möglichkeit Nahrung oder Äquivalente wie Gold oder Geld zu beschaffen, um damit seinen Hunger, aber auch den Bedarf nach Kleidung und Unterkunft zu stillen. Mit dieser Existenzsicherung inklusive der Verteidigung der eigenen Unversehrtheit ist das Sein eines Menschen, wenn man noch die Fortpflanzung hinzunimmt, schon hinreichend beschrieben. Die meisten Menschen nehmen im Laufe ihres Lebens nicht viel mehr wahr.

"Ich bin" hat aber noch eine andere Komponente, die mehr philosophischen Charakter enthält. Wer erinnert sich in diesem Moment nicht an das Descart'sche "Ich denke, also bin ich"? Worum geht es?

Es geht um die alte philosophische Frage, was eigentlich wirklich ist. Was ist von dem, was wir täglich erleben, wirklich so, wie wir es wahrnehmen oder erscheinen uns die Dinge nur so, wie es unsere Sinne uns vorgaukeln und in Wahrheit, objektiv gesehen, sind sie ganz anderer Natur oder auch nur eine Illusion, eine Fata Morgana.

Unbestritten ist sicher, dass egal, was wir formulieren und behaupten, nur das wahrgenommen werden kann, was wir selbst erleben. Also, egal, wo ich mich gerade aufhalte, zum Beispiel in einem Zimmer, ist die Welt außerhalb dieses Bereiches, den ich beobachten kann, zumindest nicht gesichert existent. Was auch immer außerhalb dieses Zimmers passiert, kann ich nicht beurteilen. Selbst Geräusche könnten von mir fehlinterpretiert werden oder ich bilde sie mir ein. Über die Welt losgelöst von meiner Wahrnehmung kann ich nur Vermutungen anstellen, wieweit ich damit Recht oder Unrecht habe zeigt sich erst, wenn ich nachschaue. Aber auch unsere Wahrnehmung selber, dass, was wir beobachten, erleben, entspricht keinem objektiven Tatbestand. Dass wir zum Beispiel die Welt in Farben sehen, hat weniger mit der Struktur der Welt als vielmehr mit dem Apparat in unserem Kopf zu tun, der elektromagnetische Wellen in Farben umwandelt. Objektiv betrachtet, gibt es weder Farben noch Töne. Das einzige, was offenbar vorhanden ist, sind elektromagnetische Wellen mit verschiedenen Frequenzen.

Diese subjektive Betrachtung der Wirklichkeit führt uns deshalb zu der Erkenntnis, dass wir ein objektives Ding, ähnlich dem Kant'schen Ding an sich, nicht sicher annehmen, sondern lediglich Vermutungen darüber anstellen können.

Egal, was wir wahrnehmen, sehen, hören, riechen, usw. oder auch, was uns jemand erzählt, was er erlebt hat, immer kann es sich um einen Traum, ein Märchen, einen Irrtum, eine Illusion, eine List, eine Verschwörung oder eine Lüge handeln. Was davon wirklich wahr ist, wie die Wahrheit wirklich "aussieht", bleibt im Dunkeln. Übrig bleibt nur die subjektive Interpretation, der Glaube an etwas, was man für wahr halten möchte. So kam Descartes auch zu der Ansicht, dass das einzige, was er für wirklich wahr halten könnte, sein eigenes Denken ist und damit auch seine Existenz zu beweisen sei.

Die teilweise schon Jahrzehnte alten Erkenntnisse aus der Quantenphysik gehen noch ein Stück weiter, was die Natur des Seins betrifft. Danach besteht die Welt eigentlich nur, wenn man sie beobachtet. Der Beobachter, also derjenige, der zum Beispiel mit Messapparaten oder mit seinen Sinnen die Wirklichkeit wahrnimmt, erschafft sozusagen die Welt oder besser gesagt seine Welt mit dieser Messung. Wenn er nicht hinschaut, gibt es diese Welt auch nicht. Sie kollabiert zurück ins Meer der Möglichkeiten genauso wie sie für den Moment der Beobachtung durch die Art der Messung geboren wird. Ob also das Haus, das ich gerade betrachte, noch dasteht, wenn ich mich umdrehe, ist wie das berühmte Beispiel mit der Katze vom Schrödinger (Quantenphysiker), die in einem Kühlschrank ihr unsicheres Dasein fristet, nur wahrscheinlich. Niemand anders als der Beobachter entscheidet über die Erscheinungsform seiner Wirklichkeit. Wenn er etwas sieht oder hört, ist das Ergebnis völlig subjektiv, abhängig von der Art der Messung, d.h. in diesem Beispiel abhängig davon, wie sein Gehirn mit den Signalen umgeht bzw. zu einem Bild oder Ton verarbeitet.

D.h., man könnte zu dem Schluss kommen, dass jedermann in seiner eigenen Welt lebt, sozusagen auf einer Lebensbühne, wo er selbst als Autor, Regisseur und Schauspieler tätig ist. Alle Personen in diesem Stück sind frei erfunden, sie dienen dem Autor lediglich dazu, dem Hauptdarsteller auf die Sprünge zu verhelfen, dass er erkennen möge, dass sich die Welt ausschließlich um ihn dreht.

Natürlich kommt kaum jemand auf die Idee, dass er in einer Welt lebt, die ständig von ihm geschaffen wird. Es besteht ja eher der Eindruck, dass man das Opfer von anderen ist. Lehrer, Polizei, Finanzbeamter, Politiker - die Eltern natürlich und wer auch immer im Laufe eines Lebens Druck aufbaut. Dass quasi jedes Ereignis aber auch die Chance bietet, aus ihm zu lernen, nachzuspüren, wie es dazu kam, die eigene Rolle dabei kritisch zu hinterfragen, ggf. Auswirkungen abzumildern oder gar neue Ereignisse auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse ins Spiel zu bringen, das wird kaum wahrgenommen. Eher glauben wir, dass wir alle in einem abgeschlossenen Raum stecken, wo wir unser Leben von A nach B in einer bestimmten zeitlichen Abfolge von der Geburt bis zum Tod zu fristen haben. Sinnlos, weil nutzlos. Allenfalls dem imaginären Ziel einer sich selbst steuernden, auf dem Zufall basierenden Evolution der Materie folgend.

Nehmen wir mal an, dass mit den Naturgesetzen und dem naturwissenschaftlichen Weltbild, von dem wir in der Schule hören, wäre wirklich nur eine Möglichkeit, wie wir unsere Wirklichkeit in eine Schablone pressen können. Wir können an sie glauben, müssen es aber nicht. Ein mexikanischer Schamane hat da zum Beispiel andere Vorstellungen. Er glaubt, dass er die Geister, die einen Menschen krankmachen können, durch den Einsatz hypnotischer Tänze, Singen, Trommeln und pflanzlicher Drogen soweit beeinflussen kann, dass sie besänftigt werden und die Wirkung ihrer zerstörerischen Energien aufgehoben wird. Für ihn ist die Wirklichkeit keine Ansammlung von getrennten Dingen, sondern eine Welt, wo alles (Erde, Tiere, Pflanzen, Menschen) beseelt und in ewigen Kreisläufen miteinander verwoben ist. Alles hat eine Wirkung. Jeder Gedanke, jedes Tun und jede Veränderung.

Ganzheitlichkeit ist das Modewort unserer Tage. Können wir wirklich trennen zwischen Geist und Materie, zwischen subjektivem Empfinden und objektiver Bestandssicherung, zwischen Ich und Du und zwischen unverschuldetem Schicksal und eigener Dummheit? Gehört denn nicht wirklich vieles, wenn nicht gar alles zusammen? Ist nicht das, was uns tagtäglich passiert, nicht automatisch mit uns, mit unserem Denken, Fühlen, Verstehen und Handeln verbunden?

Wenn wir uns morgens vom Wecker wecken lassen und uns unausgeschlafen fühlen, tragen wir die Verantwortung. Wenn wir ins Auto steigen, können wir in einen Unfall verwickelt werden. Wenn der Chef sich ärgert, weil wir einen Fehler gemacht haben, ist das unsere Schuld. Wenn wir abends das Brot vergessen zu kaufen, weil uns die Schelte im Job Angst macht, ist das unser Problem. Und so weiter.

Mit allem sind wir verbunden. Selbst wenn uns der berühmte Dachziegel auf den Kopf fällt oder das Flugzeug, in dem wir sitzen, abstürzt, passiert das, weil wir in diesem Moment an einem bestimmten Ort und einer bestimmten Zeit sind und nicht woanders. Warum uns dies und alles andere passiert, wenn etwas passiert, das ist die große Frage bis zur Frage nach dem Sinn der eigenen Existenz.

Wenn wir annehmen, dass das Leben da wäre, auch gerne unter anderem, dass wir aus den täglichen Erfahrungen etwas lernen könnten, zum Beispiel wie wir es anstellen könnten, morgens ausgeschlafener zur Arbeit zu kommen, weniger Fehler zu machen und mehr gelobt würden, könnte unser Leben zufriedener ablaufen. Wir würden mehr Energie und mehr Erfolgserlebnisse haben. Und wir hätten mehr Bewusstsein dafür, dass zur erfolgreichen Gestaltung unseres Lebens der Umgang mit dem eigenen Ich mehr Selbstverantwortung erfordert, was nicht bedeutet, dass wir die Macht haben, ausschließlich das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen. Zumindest können wir unsere Position verbessern und uns wohler, vielleicht sogar glücklicher fühlen.

Und das wäre wohl schon eine ganze Menge.