Die Magie des Lebens 1. Teil

Die menschliche Form verlieren 


Im Buddhismus gehört es zu den vier Wahrheiten vom Jemand zum Niemand zu werden. Meister Eckehart fordert nichts wissen, nichts haben, nichts sein. Jesus empfiehlt dem Reichen, sein Vermögen zu verschenken, wenn er in den Himmel kommen will. Und bei Castaneda ist zu lesen, dass am Ende der persönlichen Entwicklung eines Kriegers diese ihre menschliche Form verlieren.

Worum geht es? Was meint ein Zen-Meister, wenn er auf die Frage nach dem Erleuchtungsweg antwortet: Iss, wenn Du hungrig bist und schlaf, wenn Du müde bist.

Das Tor zur Unsterblichkeit, das Paradies, das Nirwana, die höhere Dimension - all diese wünschenswerten Zielprojektionen scheinen eins gemeinsam zu haben: Die Loslösung von jeglicher Bindung. Solange wir als Mensch unterwegs sind, d.h. solange wir also Angst vor dem Tod haben, Schmerzen wie auch Freude erleben, hungern, dürsten, nach Glück oder Erfolg streben, unser Ego hochhalten, zwischen sich und anderen unterscheiden, mitleiden, besitzen, eifersüchtig oder neidisch sind, wir uns arm fühlen oder reich, uns wichtig nehmen, stolz auf unsere Leistungen sind, usw. müssen wir uns mit den Manifestationen unseres täglichen Kampfes ums Dasein beschäftigen. Warum ist das so?

Wenn man diese Frage eindeutig, möglichst auf wissenschaftlichem Boden ruhend, für alle verständlich beantworten könnte, wären vermutlich gleich mehrere Nobelpreise fällig. Andererseits bestehen bei vielen Menschen schon Zweifel bei der Zielvorstellung (Paradies, Himmel), so dass ein wie auch immer gearteter Weg dorthin kaum überzeugend wirken kann. Und einen nachhaltigen Beweis für die Richtigkeit einer Weisheitslehre oder Religion zu erbringen, fällt schwer bzw. ist schulwissenschaftlich kaum möglich.

Dabei ist das wissenschaftliche Weltbild schon länger selbst nicht mehr das, wofür es einmal stand. Die Welt und die Beziehungen ihrer Geschöpfe untereinander auf dem Boden eindeutiger, ewig geltender Gesetze zu erklären, fällt in dem Masse zunehmend schwerer wie empirische Befunde zum Beispiel aus der Welt der Quantenphysik belegen, dass die Eindeutigkeit von Messergebnissen in Bezug auf Ort und Zeit eines Gegenstandes zumindest im mikroskopischen Dimensionen nicht gegeben ist. Nach John Wheeler ist die Welt jedoch auch als Ganzes eine Quantenwelt und damit jedes noch so grosse System ein Quantensystem.

Wenn die Welt aber nicht eindeutig zu erklären ist, sondern viele Fragen wie auch die nach dem Anfang und dem Ende aller Zeiten offen bleiben, können wir die Wissenschaft nur wenig zu ihrer Beantwortung gebrauchen. Wir müssen uns schon selber auf den Weg begeben und versuchen, uns ein Bild von dem zu machen, was wir Wirklichkeit nennen und welchen Einfluss wir darauf haben bzw. welche Rolle wir darin spielen.

Die grossen Meister, Weisen und Heilige sind verschiedene Wege gegangen, um das Geheimnis zu entdecken, das unter der Oberfläche von Geburt und Tod, Jenseits und Diesseits, Zufall und Notwendigkeit, Entwicklung und Ewigkeit, Zeit und Raum stecken mag. Die einen sind 40 Tage in die Wüste gegangen, die anderen meditierten Jahre bis Jahrzehnte im Lotussitz, wiederum andere übten sich in der Kunst des Bogenschiessens oder in der Alchemie der Goldherstellung. Schamanen beschwören die krankmachenden Geister und Teufelsanbeter hoffen auf satanische Kräfte.

Alles Scharlatane und Betrüger? Lässt sich die Wirklichkeit willentlich beeinflussen, aus dem trägen Fluss der Zeit in die gewünschte Richtung bringen? Gegen naturwissenschaftliche Gesetzgebung, Logik und Verstand?

Es gibt eine sicher unendliche Berichterstattung von (angeblichen) Zeugen unwahrscheinlicher bis unmöglich erscheinender Ereignisse. Da ist die Rede vom Erscheinen von Ausserirdischen, Engeln, Göttern und Geistern, von Wundern, Verwandlungen, Zeitreisen und schlichter Zauberei - alles ist scheinbar möglich. Das Problem ist nur, einen objektiven Beweis, wie ihn die Wissenschaft fordert, kann niemand antreten.

Bleiben wir deshalb einen Augenblick zunächst noch bei der Quantenphysik. Der Beobachter, das sind im Prinzip wir, erschafft so wird behauptet, durch seine Beobachtung die Realität, die sozusagen wie Phönix aus der Asche für einen Moment aus der Fülle von Wahrscheinlichkeiten entsteht und danach wieder in das Meer möglicher Realitäten zurückfällt. Also, die Welt existiert nicht unabhängig von uns, sondern wird von uns, ganz individuell, geschaffen, von einem Augenblick auf den nächsten. Jeder lebt demnach in seiner eigenen Welt, kreiert durch seine Gefühle, Bedürfnisse, Ängste und Notwendigkeiten. Wie auf einer Bühne, wo wir Hauptdarsteller, Regisseur und Produzent in einem sind. Und die übrigen Darsteller sind unsere Mitspieler, die entsprechend ihrer Rolle als Eltern, Lehrer oder Ehefrau in unserem Lebensdrama auftreten.

Wenn das so wäre, könnte es tatsächlich einen oder ganz viele Wege geben, die die Zwanghaftigkeit dieses Schauspiels beeinflussen oder auch in eine ganz andere Richtung lenken könnten.

Fangen wir mit einer Frage an. Was ist das Wichtigste im Leben? Vielleicht eine eher unpräzise Frage. Schliesslich sind viele Antworten denkbar. Gesundheit, Glück, Geld, die Kinder, die Frau, etc. oder auch schlicht das Leben selber. Jeder hat da seine eigene Bewertung. Und vor allem: Diese Einschätzung ändert sich immer wieder einmal. Wenn man jung ist, sucht man den beruflichen bzw. den gesellschaftlichen Erfolg. Später im Alter ist es eher die Ruhe und die Harmonie.

Das Wichtigste im Leben kann also auch mit der Zeit unwichtig werden, Platz machen für andere Wichtigkeiten. Welchen Wert hat dann eigentlich die Antwort auf die Frage: Was ist das Wichtigste in Ihrem Leben?

Keinen.

Wenn das gegenwärtig Wichtigste völlig unwichtig werden kann, gilt generell, dass das, was uns antreibt, Bedürfnisse, Triebe, Werte, Glaube heute eine Bedeutung für uns hat, morgen aber schon "Schnee von gestern" sein kann. D.h. was uns die Welt bedeutet, unsere Erfahrungen, unser Weltbild, unsere Selbsteinschätzung, unsere Freunde, unsere Feinde, unsere Ängste, unsere Qualen und Leiden, ist nur vorübergehender Natur. Hat keinen beständigen, unabhängigen Wert an sich. Früher glaubten die Menschen zur Welterklärung an allmächtige Götter, die sie huldigen und denen sie opfern mussten. Noch am Ende des Mittelalters dachte man, dass die Welt eine Scheibe sei, von der man ins Nichts fallen konnte. Heute glaubt man, dass wir in einem Raum leben (Weltraum, irdischer Raum), in dem die Zeit von der Vergangenheit über die Gegenwart bis zur Zukunft wie in einer Sanduhr vergeht und wir uns von A nach B und über C wieder zurückbewegen können. Uns allen droht die existenzielle Vernichtung spätestens nach 80 oder 90 Jahren, eventuell auch früher durch Krankheit, Verletzung oder Verhungern. Was nach dem Tod passiert, wenn überhaupt noch etwas geschieht, ist Glaubenssache.

Genau das ist es. Egal, welche Vorstellungen, Erfahrungen und Weltbilder wir kreieren, sie bleiben eine individuelle Glaubenssache. Trotz Wissenschaft und Forschung. Wer kann denn für sich überprüfen, ob sich eine Begebenheit in der Vergangenheit wirklich ereignet hat oder nur so ähnlich oder gar überhaupt nicht? Konkret: Hat es die Schlacht von Waterloo oder die Entdeckungsfahrt von Christoph Kolumbus wirklich so gegeben, wie es uns die Geschichtsbücher erzählen? Bzw. hat Jesus Christus von Nazareth so gelebt, wie es in der Bibel steht? Und so weiter......

Wir können doch nur denjenigen glauben, die sich als Historiker anhand von wie auch immer gearteten Quellen mit diesen vergangenen Ereignissen wissenschaftlich beschäftigt haben. Egal, wie glaubwürdig Spuren, Funde, Zeugnisse von diesen Ereignissen angesehen werden. Die Wahrheit darüber, was sich wirklich ereignet hat, bleibt im Dunkel der Geschichte. Sie wird nur vermittelt und kann nicht selbst erlebt werden.

Genauso ist es auch mit der Gegenwart. Was alles über die Nachrichten oder Berichten von Zeugen vermittelt gerade passiert, kann wahr oder falsch sein. Je nachdem, welches Interesse der Informationsvermittler hat. Es bleibt uns überlassen, wem wir Glauben schenken und welche Information wir für Wahrheit halten. Selbst die eigenen Erfahrungen, die uns über unsere Sinne vermittelt werden, können uns täuschen. Wer nachts im Wald herumläuft oder wer übermüdet, verärgert, gestresst, verängstigt ist, sieht und erlebt oft Dinge oder hat Visionen, die bei klarem Verstand einen ganz anderen Charakter aufweisen können.

Nichts ist wirklich sicher und absolut wahr. "Ich denke, also bin ich", dieser alte Spruch, sagt nichts darüber aus, wer oder was ich bin. Die Tatsache, dass da offensichtlich irgend jemand oder irgendwas denkt, hilft uns da auch nicht weiter. Wer bin ich? Der Mensch, den ich im Spiegel beobachten kann oder umfasst das Ich mehr als als unseren Körper. Was ist eine Seele? Woher kommen wir, wohin geht es? Gibt es einen Lebenssinn? Oder ist alles nur ein Spuk? Vielleicht eine Matrix von intelligenteren Wesen, die mit uns ihr Spiel treiben, was das grundsätzliche Problem nicht lösen würde.

Wenn aber nichts von wirklichem Bestand, alles nur Glaube und Schein ist, dann kippt auch unsere Vorstellung nicht nur vom Ich, sondern auch vom Leben insgesamt, vom Tod und alles, was wir uns darüberhinaus einbilden. Jedes erkennende Ich, jeder Beobachter oder wie auch immer man den bezeichnen will, der im Moment hier schreibt und denkt oder liest, ist gefangen in der Blase seiner Wahrnehmung und doch auch frei, das Sein in den Raum zu spinnen, wie es ihm beliebt. Was heisst das?

So wie wir unsere Welt erschaffen, indem wir definieren, wer, wann, wo geboren ist, lernen, welche Strategien dem Überleben dienen und die Angst vor dem Tod uns in die Arme von Heilsbringern treibt, so können wir uns auch von diesen Zwangsvorstellungen befreien und unsere Wahrnehmungen und Erfahrungen kreativ gestalten. Das, was wir erleben, ist grundsätzlich nicht vorherbestimmt. Es ist lediglich eine Frage der Wahrscheinlichkeit, welcher Ausschnitt aus dem quantenphysikalischen Meer der Möglichkeiten von uns beobachtet, erfahren und interpretiert wird. Wenn ich einen Moment im Hier und Jetzt wahrnehme, zum Beispiel in meinem Auto sitze und eine Strasse entlang fahre, ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese beobachtete Erfahrung auch im nächsten Moment noch anhält, ohne dass gravierende Veränderungen eintreten, sehr hoch. Normalerweise würde sich eine Kette von ähnlichen Erfahrungsmomenten aneinanderreihen, es sei denn, es tritt etwas weniger Wahrscheinliches, aber trotzdem Mögliches auf, zum Beispiel die Kollision mit einem anderen Fahrzeug, oder aber meine bewusste Entscheidung, die Fahrt zu unterbrechen, um den Rest der Strecke zu Fuss zurückzulegen.

Es passieren so gut wie immer die wahrscheinlichsten Dinge. Wer Lotto spielt, wird in der Regel keine sechs Richtige haben. Wer Hunger hat, wird sich etwas zu essen beschaffen und wer heiraten möchte, wird sich nach einem passenden Partner umschauen. Unwahrscheinliches lässt sich natürlich auch beobachten. Eine totale Sonnenfinsternis oder eine Mehrlingsgeburt oder auch die Tatsache, dass ein Schulversager Professor für Informatik wird.

Diese Art von wechselnden Wahrscheinlichkeiten durchzieht unser Leben. Ereignisse kommen und gehen, wir lassen diesen Lebensfilm als mehr oder weniger unabänderlich geschehen. Wir sprechen vom Schicksal, Gottes Fügung, vom Zufall oder vom Glück. Aber wir sprechen selten bis gar nicht davon, dass unser Schicksal in unserer eigenen Hand liegt. Im Gegenteil, wir glauben fest daran, dass wir gelenkt werden, wir unsere Sünden zu bekennen und zu büssen haben. Wie Du mir, so ich Dir. Auge um Auge, Zahn um Zahn, usw.

Kehren wir an den Anfang dieses Essays wieder zurück. Die zahllosen Methoden, sich vom Joch des Schicksals zu befreien, wurden bereits erwähnt. Es ist wirklich möglich, dass, was wir erleben, selbst zu gestalten. Die Freiheit zu gewinnen, statt in dumpfer Bewusstlosigkeit ein in der Regel mühsames Leben zu schultern und geradewegs auf den Scheiterhaufen zuzugehen. Natürlich werden wir alt und es ist möglich, dass der Körper zugrunde geht. Eine scheinbare Tatsache, die jedoch nicht zwangsläufig passieren muss. So, als ob es niemals einen Ausweg geben könnte. Schliesslich haben wir den Tod selbst noch nicht erlebt. Wir kennen ihn nur vom Hörensagen oder gelegentlichem Beobachten. Wir hatten ja schon erwähnt, was wir von diesen subjektiven Erlebnissen zu halten haben. Nur wenn wir an etwas glauben, wird es geschehen. Eine Garantie für irgendetwas, Wahrscheinliches, Unwahrscheinliches oder gar Unmögliches, gibt es ohnehin nicht. Glauben wir also an den Tod, die physische Vernichtung, werden wir sie erleben. Glauben wir an den Himmel, an Gott und heilige Engel, werden wir sie erleben. Und wenn wir daran glauben, dass das alles nur Spuk ist und niemand mit irgendeiner Behauptung recht hat, dann wird sich auch dieses beweisen. "Das Wichtige ist genauso wichtig wie das Unwichtige". Damit ist alles gesagt!

zum 2. Teil: Wer bin ich und was ist wirklich?