Die vier Edlen Wahrheiten










Vom Leid zum Glück

Kriege, Terror, Gewalt, dazu noch Epidemien, Klima- und Hungerkatastrophen und der tägliche Wahnsinn in Form von Stress, Ärger und Frust, ein Füllhorn des Leidens, wie es schlimmer kaum vorstellbar ist. Und doch, wenn man die Geschichte betrachtet, dürfte körperliches und psychisches Leiden früher noch stärker den Lebensalltag des Menschen beeinflusst haben. So wurde der Mensch im Durchschnitt in den vergangenen Jahrhunderten kaum älter als 45 Jahre, erst in den letzten Hundert Jahren, insbesondere nach dem 2. Weltkrieg, stieg die Lebensdauer permanent auf jetzt knapp über 80 Jahre an.

Die Fortschritte in der Medizin, aber auch die politische Kultur hier in Mitteleuropa haben dazu beigetragen, dass es den Menschen deutlich besser geht, was nicht heisst, dass dies global für alle gilt. Die Unterschiede in der wirtschaftliche Leistungskraft, in der medizinischen Versorgung, im religiösen Denken und der Beteiligung der Bevölkerung an der staatlichen Macht durch nachhaltige demokratische Strukturen sind nach wie vor sehr gross. Teilweise leben weite Teile der Menschheit noch wie im Mittelalter mit den entsprechenden Folgen für Gesundheit und Wohlbehagen.
Die Frage ist allerdings, geht es uns wirklich besser als den Menschen früherer Tage oder den Bewohnern von Ländern wie Afghanistan, Liberia oder Nord-Korea. Natürlich herrscht bei uns kein Krieg, niemand muss hungern, Wohlstand ist verbreitet, medizinisch sind wir erstklassig. Trotzdem nehmen vor allem psychische Leiden zu. Einsamkeit, Überforderung, Verlustängste führen zu Trauer, Wut und Depression.

Im Buddhismus werden die vier Edlen Wahrheiten erwähnt, die zur Auflösung des Leidens und zum allumfassenden Glück führen. Als erstes geht es darum, überhaupt zu erkennen und sich selbst zuzugeben, dass man leidet. Was nicht immer den Betroffenen klar ist. Oft wird das eigene Leid gar nicht erkannt, sondern als normal empfunden. Besonders psychische Leiden werden gern verdrängt, teilweise, wie frühkindliche Traumata, auch einfach vergessen, ohne dass eine Verarbeitung stattfinden konnte.

Bei der zweiten Edlen Wahrheit hat der Einzelne zu erkennen, dass es das eigene Ego ist, was das Leiden auslöst. Dies zu verstehen, fällt noch leicht, wenn beispielsweise im Strassenverkehr der Vordermann aufreizend langsam fährt, während man selber schneller, vielleicht aus Termindruck, vorwärts kommen möchte. Ärger kommt hoch, da wird dann gerne auch mal die Hupe benutzt oder mit dem Finger Schlimmeres gezeigt. Das Ego möchte gerne seine eigene Vorstellung, wie schnell der Vordermann zu fahren hat, durchsetzen und kassiert dafür das Frust- und Ärgergefühl. Bei Rasern und Dränglern wird es zusätzlich noch gefährlich. Ängste kommen hoch. Die einen geniessen ihre Macht und die anderen fürchten um ihr Leben. Der Kleinkrieg auf den Autobahnen ist natürlich nichts gegen die wirklichen Kriege, die im vorgeblichen Namen Allahs oder der Gerechtigkeit gefochten werden. Wenn die Russen wie selbstverständlich die Krim annektieren, nach dem Motto: Die gehörte doch schon immer zu uns, dann erreicht dieses egoistische Vorgehen, besonders dann beim Kampf gegen die Ukraine, eine Dimension mit Tausenden von Toten, Verletzten und Verstörten, die jenseits von Verständnis und Akzeptanz liegt. Von den Grausamkeiten einer IS, die eine muslimische Weltherrschaft auf Kosten aller übrigen Religionen anstrebt, ganz zu schweigen.
Es gibt natürlich auch Leid, dass Menschen zugefügt wird, wo sie selber, wie bei den Opfern der IS, nichts dazukönnen, ausser dass sie vielleicht der falschen Religion angehören. Oder Kinder sind. Unschuldige Opfer. Die wie bei Verkehrsunfällen plötzlich verletzt oder gar zu Tode kommen, aber die keine Schuld trifft. Was ist mit denen? Wo und wann haben sie egoistisch ihr Leiden verursacht?
Buddhisten verweisen im Rahmen ihrer Wiedergeburtslehre auf die vorherigen Leben, das Karma. Vielleicht erleben wir in der Tat nur einen Ausschnitt, den wir als unser Leben von der Geburt bis zum Tod bezeichnen. Wer könnte sonst für unsere Schuld aufkommen, die wir durch unser Verhalten auf uns laden, wenn nicht wir selber? Gibt es ein überpersönliches Speichermedium, auch Seele oder Über-Ich genannt, das uns immer wieder in ein neues Leben zwingt, bis wir frei von aller Schuld, erlöst in das Klare Urlicht eingehen, wie es im Tibetanischen Totenbuch geschrieben steht?

Die dritte Edle Wahrheit ist, das Ego aufzulösen. Vom Jemand zum Niemand werden. Die schwierigste Aufgabe. Vorausgesetzt, wir erkennen den Zusammenhang zwischen dem, was wir uns wünschen oder befürchten, zwischen Tun und Nichttun und dem, was wir erleben, was wir als Schicksal bezeichnen. Im Strassenverkehr ist es noch relativ einfach, eine entspannte Haltung einzunehmen. "Lass doch den Idioten vor uns machen, was er will." Oder den Armleuchter, die Mutter oder den Opa. Nichts berührt uns, wir stehen über den Dingen. Auch der Miesepeter von Chef prallt einfach ab, die nörgelnden Kunden werden mit einem Lächeln auf den Lippen beruhigt. In der Familie haben auf einmal die Kinderwünsche Vorrang und die Ehefrau wird trotz eigener Müdigkeit noch mit einem selbst zubereiteten kleinen Imbiss überrascht.

Ja, schön wäre es. Aber egal. Trotz aller Schwierigkeiten, es sieht so aus, dass wir selber die Verursacher unserer Leiden sind, was zugegebenermassen manchmal schwer zu verstehen ist und wir sollten an uns arbeiten, die eigenen Wünsche nach hinten zu stellen und mehr Verständnis für die Schwächen anderer zu zeigen. Eines der grossen Worte in diesem Zusammenhang ist die Geduld. Wir müssen lernen zu warten, bis wir an der Reihe sind, die Ruhe bewahren, geben statt nehmen, Negatives ertragen, Positives dankbar geniessen, das Leben fliessen lassen.

Damit kommen wir in den Bereich der vierten Edlen Wahrheit. Es ist allgemein gesagt, der Zustand ewigen Glücksgefühls. Die Erleuchtung. Was auch immer darunter zu verstehen ist. Verstehen kann man einen solchen Zustand wohl auch nicht. Eigentlich nur fühlen. Frei von Schuld, frei davon, jemand zu sein, erlöst von den Bürden des Alltags, frei schwebend wie ein Vogel. Ein paradiesischer Zustand. Hier fällt einem alles leicht, denn es gibt nichts zu verteidigen. Mein ist Dein. Tu das, was Du für richtig hältst. Die Dinge ordnen sich wie von selbst. Das Glück kommt zu Dir. Lass alles geschehen. Es ist alles in Ordnung. Die Welt ist eins mit Dir.